Alexander Müller

Persönliche Erklärung zum Infektionsschutzgesetz

Persönliche Erklärung nach § 31 GO BT

Zum Abstimmungsverhalten am 18.11.2020 zu Tagesordnungspunkt 1 „Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“

Drucksache 19/23944

Abgeordneter Alexander Müller

Die Corona-Pandemie stellt alle Bürger vor enorme Herausforderungen. Es ist richtig, große Anstrengungen zu unternehmen, um die Verbreitung des COVID-19-Virus zu verhindern, zu verlangsamen und dadurch die Folgen abzumildern.

Jede Einschränkung der Freiheit muss jedoch gerechtfertigt sein. Maßnahmen dürfen nur dann getroffen werden, wenn sie wirksam und auch verhältnismäßig sind. Sie müssen regelmäßig, am besten täglich, überprüft werden. Und sie müssen auf eine breite Basis gestellt werden. Das Mindeste ist es, dass sie im Parlament beschlossen werden.

Mit dem „Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ sollen nun die Maßnahmen aus dem ersten IfSG rechtlich abgesichert werden. Dass dies heute beschlossen werden muss, zeigt, auf was für ein dünnes Fundament diese Maßnahmen gesetzt wurden, und wie verunsichert die Regierungsmehrheit im Parlament in Bezug auf die verfassungsrechtliche Legitimation der Maßnahmen ist.

Der vorliegende Gesetzentwurf weist aus meiner Sicht erhebliche Mängel auf. So ist  der geplante § 28a IfSG ein Blankoscheck für die Regierung.  Die Vorschrift lässt keinerlei Abwägung der grundrechtlich betroffenen Interessen erkennen, sondern will offenbar einseitig das bisherige Vorgehen während der Corona-Epidemie legitimieren. Die ausschließliche Orientierung am 7-Tages-Inzidenzwert ist nicht sachgerecht, da es sich um einen verwaltungstechnischen Wert aus dem Frühjahr handelt und andere Indikatoren nicht berücksichtig werden.

Zudem fehlen Einschränkungen in zeitlicher Hinsicht, die Angabe eines konkreten Ziels der Pandemiebekämpfung und eine Begründungspflicht auch für Rechtsverordnungen. Der Gesetzentwurf zählt die aktuellen Maßnahmen nur beispielhaft auf und schließt andere Maßnahmen nicht aus. Die Maßnahmen können sogar kumulativ angeordnet werden.

Es braucht im Kampf gegen die Ausbreitung des Covid-19-Virus mehr parlamentarische Beteiligung, etwa durch Festschreibung eines Zustimmungsvorbehaltes für den Deutschen Bundestag in Rechtsverordnungsermächtigungen. Dieser soll für den Fall vorgesehen werden, dass die Bundesregierung oder ein Bundesministerium zum Erlass einer unmittelbar in Grundrechte eingreifenden Rechtsverordnung ermächtigt wird, um dem besonderen demokratischen Legitimationsbedarf solcher Maßnahmen zu entsprechen. Außerdem soll der Gesetzgeber das Bundesgesundheitsministerium damit beauftragen, die wissenschaftliche Bewertung der getroffenen Entscheidungen einem dazu zu berufenden, unabhängigen und interdisziplinär besetzten wissenschaftlichen Gremium anzuvertrauen.

Dieser Gesetzentwurf ist insgesamt ein Freibrief für die Exekutive und eine Selbstentmachtung des Parlaments, der nicht hingenommen werden darf. Als Mitglied des Deutschen Bundestages sehe ich mich von den Wählerinnen und Wählern beauftragt, die Grundrechte der Bevölkerung zu verteidigen, und diese gegenüber unverhältnismäßigen Einschränkungen der Regierung zu schützen. Durch dieses Gesetz gibt das Parlament meines Erachtens nach unverhältnismäßig große Freiräume an die Bundesregierung und schränkt seine eigenen Kontrollrechte dabei stark ein. Dem kann ich nicht zustimmen.

Berlin, 18.11.2020

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