Alexander Müller

Ja zu Parlamentsbeteiligung. Nein zu Regierungshoheit über Grundrechte.

Der Entwurf des Dritten Bevölkerungsschutzgesetz und insbesondere der im Eilverfahren durch die Große Koalition beschlossene § 28a IfSG ist zur Zeit ein wichtiges politisches Thema und wird von der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag intensiv diskutiert und kritisch begleitet. Der Gesetzentwurf enthält zwar wichtige und richtige Punkte, wie z.B. die Abschaffung der Meldepflicht bei Corona-Selbsttests, die Verbesserung der digitalen Anbindung der Labore oder die Nutzung von tier- und zahnärztlichen Laboren für Coronatests. Viele dieser Punkte haben wir bereits seit Monaten gefordert.

Als FDP-Fraktion fordern wir jedoch eine stärkere Beteiligung des Parlaments bei der Bekämpfung der Pandemie und insbesondere eine konkretere gesetzliche Grundlage für die Maßnahmen und die mit ihnen verbundenen tiefgreifenden und flächendeckenden Grundrechtseingriffe. Eine dauerhafte Akzeptanz der Bevölkerung für die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ist nur dann zu gewährleisten, wenn diese nachvollziehbar sind und in transparenten Entscheidungsprozessen gefunden werden. Die Diskussionen und Entscheidungen der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten fanden hinter verschlossenen Türen statt, letztlich wurden die Bürgerinnen und Bürger vor vollendete Tatsachen gestellt, ohne die ausgetauschten Argumente hinreichend nachvollziehen zu können. Wir fordern, dass diese Debatten in den Parlamenten geführt werden. Derart grundrechtsbeschränkende Maßnahmen können nur dann weitreichende Legitimation erhalten, wenn sie eine konkrete gesetzliche Grundlage haben, über die im Bundestag und in den Landtagen diskutiert und abgestimmt wird.

Die aktuelle Regelung (§ 28 IfSG) wird dem nicht gerecht. Sie ist nicht darauf ausgerichtet, flächendeckend das wirtschaftliche und soziale Leben im Land zu regeln, sondern nur für punktuelle Krankheitsausbrüche. Auch namhafte Verfassungsrechtler (z.B. der ehem. Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/papier-kritisiert-neues-corona-gesetz-als-persilschein-fuer-regierung) und Gerichte (zuletzt Bayerischer VGH, Beschluss vom 29.10.2020 - 20 NE 20.2360) bestätigen dies und halten eine neue Rechtsgrundlage für erforderlich, in der der Gesetzgeber die Grenzen und Voraussetzungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie festlegt.

Der Vorschlag der Bundesregierung (§ 28a IfSG) ist dafür aber ungeeignet und behebt keines der benannten Probleme. So werden die einzelnen Maßnahmen nicht näher bestimmt, sondern nur katalogartig aufgezählt. Es ist dadurch z.B. nicht ersichtlich, welche Schutzmaßnahmen zuerst verhängt werden sollen, weil diese weniger als andere in Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern eingreifen oder wann eine Härtefallregelung vorzusehen ist. Auch eine Orientierung am 7-Tage-Inzidenzwert wird den unterschiedlichen lokalen Infektionsgeschehen nicht gerecht. Oberhalb eines 7-Tage-Inzidenzwertes von 50 pro 100.000 Einwohnern wird die Regelung als Blankoscheck für die Bundesregierung eingeschätzt (so Hans-Jürgen Papier, s.o.). Diese und auch weitere Mängel des Gesetzentwurfes und insbesondere den Umgang der Bundesregierung mit den Rechten des Parlaments kritisieren wir. Wir fordern eine Befristung der Maßnahmen und eine Berichtspflicht der Bundesregierung an das Parlament. Wir haben hierzu bereits Initiativen in den Deutschen Bundestag eingebracht und werden dies auch weiterhin tun.

Folgendes ist noch wichtig: Die Bezeichnung als «Ermächtigungsgesetz», die im Zusammenhang mit der Kritik an diesem Gesetz mitunter gebraucht wird, ist eine gefährliche Relativierung der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933. Was dem Bundestag aktuell vorliegt, ist ein Gesetzentwurf, der die Bundesregierung und die Landesregierungen zu besonderem Handeln ermächtigt. Wir haben dazu als Freie Demokraten eine andere Meinung (siehe oben). Aber dass die Regierung durch das Parlament bestimmte Befugnisse erteilt bekommt, geschieht ständig. Es ist für sich genommen weder besonders «undemokratisch» oder gar «diktatorisch». Man kann die konkreten Befugnisse und ihre Ausgestaltung - so wie ich es tue - falsch finden, aber man sollte aufpassen, dass man diese Kritik nicht durch Formulierungen wie «Corona-Diktatur» oder «Abschaffung der Grundrechte» entwertet.

Richtig ist auch, dass mit dem Gesetz Grundrechte eingeschränkt werden. Aber das passiert im Parlament und in der Regierung ständig. Ob Schulpflicht, Strafzettel, Leinenzwang für Hunde oder Maskenpflicht beim Einkaufen - das alles sind Eingriffe in die Grundrechte. Die Frage ist, ob diese auch gerechtfertigt sind. Darüber lässt sich im Parlament und in der Öffentlichkeit streiten. Damit man besser erkennen kann, welche Grundrechte betroffen sind, steht im Grundgesetz in Artikel 19 Absatz 1 folgendes: « Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muss das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muss das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen. Der zweite Satz wird auch als «Zitiergebot» bezeichnet. Er schreibt vor, dass bei Grundrechtseinschränkungen das betroffene Grundrecht durch den Gesetzgeber genannt werden muss. Wenn in dem hier vorgelegten Gesetz also die Rede davon ist, dass «Grundrechte eingeschränkt» werden, dann folgt die Einschränkung nicht (!) aus diesem Satz. Er beschreibt vielmehr, dass an anderer Stelle im Gesetz eine Regelung in die Grundrechte eingreift. Das macht diese Regelung nicht besser oder schlechter. Es ist lediglich eine Beschreibung der Regelung.

Wir sehen das vorliegende Gesetz sehr kritisch. Aber wir bitten auch darum, dass die Arbeit von Parlament und Regierung richtig verstanden wird. Denn wir nehmen unsere Aufgabe ernst und werden die Corona-Krise weiterhin konstruktiv begleiten.