Alexander Müller

Der Verteidiger deiner Freiheit: Unser Dilemma

Unser Land, unsere gesamte Gesellschaft ist tief gespalten. Der Prozess hat sich über fast zehn Jahre entwickelt, und ich mache ihn an der Migrationsproblematik fest. Die AFD war vor zehn Jahren noch eine unbedeutende Kleinpartei von Ökonomie-Professoren, die sich aus Protest gegen die Schuldenrettung Griechenlands gegründet hatte, und wurde nach und nach von anderen übernommen. Sie wurde seit 2015 ein Sammelbecken radikaler nationalistischer Kräfte.
Die BSW, die es erst seit knapp einem Jahr gibt, ist der Versuch radikaler sozialistischer Kräfte, im gleichen Teich Wähler zu angeln. Der Grund für die enorme Popularität dieser Parteien resultiert vor allem aus der Ablehnung der hohen Migration nach Deutschland, aus der Sorge um die Sicherheit der Bevölkerung, aber auch um die Sozialsysteme, und nebenbei auch aus der Tendenz zu starken Eingriffen in das Leben der Menschen durch die Politik.
Das Heizungsgesetz (zumindest der erste Entwurf davon), das Verbot von Verbrennungsmotoren, übermäßige Bürokratie und kaum merkbare Digitalisierung, die überzogenen Freiheits-Einschränkungen in der Corona-Pandemie, und der Druck zur Veränderung unserer Sprache und die öffentliche Verächtlich-Machung derjenigen, die nicht mitziehen, dies alles fördert den Unmut in der Bevölkerung. Dazu kommen hohe Stromkosten durch die Ersetzung von günstigem Kernkraft-Strom durch Kohlestrom und enorme Netz-Ausbaukosten, die wiederum die Wirtschaft massiv beeinträchtigen und Deutschland international absteigen lassen, wenn nicht bald gehandelt wird.

Die Menschen sorgen sich um ihre Arbeitsplätze. Bei Volkswagen, das Unternehmen hat gerade einen massiven Stellenabbau angekündigt, dürften wohl unternehmerische Fehlentscheidungen der Grund sein, zum Beispiel die vorschnelle Entscheidung, nur noch auf Elektro-Autos zu setzen. Aber die Wirtschaft stagniert, und das merken alle. Die Wähler suchen sich ein Ventil, und das sind die populistischen Parteien an den Rändern.
Wir sind als Deutsche nicht alleine: in anderen Ländern Europas sind diese Trends schon wesentlich früher gestartet als bei uns, auch dort haben extreme Parteien viel Zulauf. Das interessante dabei ist, wie die Parteien der Mitte sich in unterschiedlichen Ländern Europas dabei verhalten hatten: In Italien, in den Niederlanden und auch in Frankreich haben diese Parteien der Mitte ihre Politik kaum verändert, setzten auf Abwarten und das Prinzip „Augen zu und durch“. In diesen Ländern sind heute die Populisten entweder schon an der Macht (Italien), oder sie werden fast unregierbar, weil die Populisten jetzt so große Mehrheiten haben, dass keine Regierung mehr gebildet werden kann (Niederlande, Frankreich).
Spannend ist dagegen die Entwicklung in Dänemark und Schweden: bei gleichen Problemen hatten hier die Sozialdemokraten ihre Politik geändert, die Migrationsprobleme gelöst durch Maßnahmen, die mit dem EU-Recht vereinbar sind, und die Sozialdemokraten sind dort weiter an der Macht bei deutlich geschrumpften Populisten-Parteien.

Die große Frage für mich ist: welche Entwicklung wird Deutschland nehmen, wird es uns wie in Schweden und Dänemark gelingen, die Probleme aus den Parteien der Mitte heraus zu lösen, oder werden wir wie andere Länder unregierbar oder gar bald populistisch regiert? Aus meiner Sicht ist das die ganz zentrale Frage, vor der Deutschland steht: Schaffen wir es, die Sorgen und Anliegen der Bevölkerung als demokratische Parteien aufzunehmen, ins Handeln zu kommen und Vertrauen zurückzugewinnen, oder werden wir vom Populismus überrollt?
So wie in der Außenpolitik und bei der Bundeswehr brauchen wir jetzt eine echte Zeitenwende bei der Migration. Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Ich habe auch kein gutes Gefühl, wenn ich die Reaktionen unserer Koalitionspartner nach den Landtagswahlen betrachte: immer wieder wird von sozialdemokratischer Seite gesagt, man müsste nur besser erklären, und irgendwann werden die Menschen es verstehen. Die Kollegin Mihalic von den Grünen behauptet, man könne einreisende Menschen aus sicheren Ländern (sogenannte Dublin-Flüchtlinge) an der Grenze gar nicht zurückweisen, obwohl der Artikel 16a im Grundgesetz genau das bestimmt. Der politische Wille ist bei vielen einfach nicht vorhanden, an der Situation etwas zu verändern, die wir seit der Grenzöffnung 2015 haben.
Diese lange Vorgeschichte ist nötig, um zu verstehen, was passieren würde, wenn die FDP die Regierung nun verlassen würde: einerseits bietet es die Chance auf eine neue Regierung, die die dringenden Probleme in der Migration und in der Wirtschaftspolitik lösen könnte. Andererseits wäre zu erwarten, dass vorgezogene Neuwahlen nochmal einen enormen Schub für die Populisten bringen würden, und wir bereits in die Unregierbarkeit kommen. Ich höre und lese oft, dass wir Abgeordneten ja nur an unseren Pöstchen kleben würden, und deswegen keinen Neuanfang wollten. Mich ärgert das, weil es einfach nicht stimmt. Ich bin Diplom-Informatiker, und habe vor meiner Zeit im Bundestag deutlich mehr verdient als heute. Ich will nicht falsch verstanden werden: man kann von der Abgeordneten-Diät gut leben. Aber wenn ich irgendwann in meinen alten Beruf zurückkehre, werde ich finanziell besser dastehen, bei deutlich weniger Arbeitsbelastung, und bequemer Arbeit vom Schreibtisch ohne die vielen Reisen, und ohne die vielen Vorwürfe und Beleidigungen. Ich übe das Mandat gerne aus weil ich für Politik brenne, nicht weil ich davon finanziell profitieren würde. Ich will etwas verändern, etwas bewegen für dieses Land. Und merke doch, dass das, was jetzt am dringendsten nötig ist, in dieser Koalition nicht umgesetzt werden kann. Wir werden daher weiter versuchen, jetzt diese dringenden Dinge umzusetzen, und dafür Kompromisse zu finden; im Bereich der Wirtschaftspolitik gibt es mit unseren 49 Maßnahmen für die Wirtschaftswende erste hoffnungsvolle Zeichen, dass das Ruder herum gerissen werden kann. Daran müssen wir dann messen, ob wir in dieser Konstellation noch länger weitermachen können.