Alexander Müller

Der Verteidiger deiner Freiheit: Unruhe im Bundestag

Ich werde heute etwas aus dem Nähkästchen plaudern über den Parlaments-Betrieb in Berlin, weil kaum jemand von außen mitbekommt, was die AfD unserer Demokratie antut. Vergangenen Freitag war es wieder so weit, als die Abgeordneten der Rechtsaußen-Partei erneut gezeigt haben, was sie vom Deutschen Bundestag und der Demokratie insgesamt halten. Dazu muss man wissen: Das Plenum läuft Freitags meist bis etwa gegen 15, manchmal 16 Uhr. Abgeordnete aus dem Süden Deutschlands, und das betrifft alle Parteien, müssen dann langsam los in Richtung Hauptbahnhof, weil sie ansonsten nicht mehr nach Hause kommen und erst Samstags heim können. In diesen Momenten passiert es regelmäßig, dass die AFD-Abgeordneten die Beschlussfähigkeit des Bundestages in Frage stellen; das darf jede Fraktion laut unserer Geschäftsordnung. Das Ziel der AFD ist es dann, dass Gesetze oder Anträge nicht mehr beschlossen werden können und liegen bleiben, weil sie erst in zwei oder drei Wochen wieder aufgerufen werden können, in der nächsten Plenarsitzung. Wenn die Beschlussfähigkeit nicht mehr gegeben ist, weil nicht mehr genügend Abgeordnete im Plenum sind, wird die Plenarsitzung beendet. Damit kann man den Gesetzgebungs-Prozess effektiv stören oder aufhalten, in dem man zum einen dafür sorgt, dass die Tagesordnung sehr prall gefüllt wird, des Weiteren indem man dauernd den Rednern Zwischenfragen stellt, sich die Sitzungen damit also in die Länge ziehen, und zum anderen gegen Ende dann die Beschlussfähigkeit anzweifelt. Natürlich könnte man dem entgegenwirken, indem man an noch mehr Tagen Plenarsitzungen durchführt. Seit zwei Jahren haben wir neu eingeführt, dass wir nun auch den Mittwoch für Plenarsitzungen nutzen, obwohl zeitgleich die Ausschüsse tagen; damit entzerren wir die Tagesordnungen ein Stück weit, und verteilen die zu beratenden Punkte auf mehr Zeit. Trotzdem reicht auch das nicht aus, wie man am Beispiel der vergangenen Woche sehen kann: Am Donnerstag beispielsweise ging unsere Tagesordnung von morgens 9 Uhr bis nachts um 02:40 Uhr. Um damit umzugehen, verabreden die Fraktionen dann, dass Redner auf das Vortragen ihrer Reden verzichten, und die Reden einfach zu Protokoll geben, damit wir nicht ganz so lange im Plenum ausharren müssen. Auch ich war betroffen: meine Rede zum Gesetz zur beschleunigten Entfernung extremistischer Soldaten aus dem Dienst habe ich am Donnerstag nicht vorgetragen, sondern nur den Stenografen für das Protokoll abgegeben. Damit konnten wir Donnerstag gegen Mitternacht die Sitzung beenden, und alle Punkte abstimmen. Die AFD gibt grundsätzlich nie ihre Reden zu Protokoll, sie beteiligt sich an solchen Vereinbarungen zur Verbesserung der Effizienz generell gar nicht.

Was aber besonders perfide ist, und das muss man dieser Truppe wirklich ankreiden: seit diesem Jahr beteiligen sie sich selbst nicht mehr an der Feststellung der Beschlussfähigkeit, und zwar, um das Parlament gezielt handlungsunfähig zu machen. Das bedeutet: wenn gezählt wird, wie viele Abgeordnete noch anwesend sind, dann nehmen sie selbst an der Zählung gar nicht Teil, um die Anzahl der Abgeordneten gezielt nach unten zu fälschen. Weil man vom Sitz der Parlaments-Präsidentin unmöglich alle 736 Abgeordneten fehlerfrei durchzählen kann, funktioniert die Zählung technisch mit einem sogenannten „Hammelsprung“: Dabei verlassen alle Abgeordneten den Plenarsaal, und werden beim Betreten an den Türen gezählt. Man verbindet dies häufig mit einer Abstimmung, und hat dann die drei Türen „Ja“, „Nein“ und „Enthaltung“, über die man den Plenarsaal wieder betreten kann, wo dann gezählt wird. Beim letzten Hammelsprung im September hatten sich die Abgeordneten der Rechtsaußen-Partei dann geweigert, wieder in den Plenarsaal zu kommen und sich zählen zu lassen, um das Abstimmungs-Ergebnis zu manipulieren. Dasselbe haben sie nun letzten Freitag nachmittags versucht. Erneut wollten sie eine Abstimmung dazu benutzen, um die Beschlussfähigkeit anzuzweifeln, und hatten diese Zählung beantragt. Wir anderen hatten bereits erwartet, was nun kommen würde, und haben den Spieß umgedreht: wir haben uns damit durchgesetzt, dass diese Abstimmung nicht per Hammelsprung durchgeführt wird, sondern per namentlicher Abstimmung. Den Grund werde ich gleich verraten, aber zunächst mal zur Erklärung, was eine namentliche Abstimmung ist: Dabei werden Wahl-Urnen aufgestellt, und wir Abgeordneten werfen dort eine farbige Stimmkarte mit unserem Namen ein, wobei die Farbe für Ja (blau), Nein (rot) oder Enthaltung (weiß) steht. Dann wird das Ergebnis ausgezählt und veröffentlicht, mitsamt Namen des Abgeordneten und seiner Abstimmungs-Entscheidung. Dabei wird natürlich nebenbei festgestellt, ob ausreichend Abgeordnete teilgenommen haben. Der entscheidende Unterschied dabei ist, dass zum einen dokumentiert wird, welcher Abgeordnete überhaupt teilgenommen hat, und zum Zweiten es eine Strafe von 100 Euro für jeden Abgeordneten kostet, der an der Abstimmung nicht teilnimmt. Diese Strafe ist der entscheidende Punkt: Wenn die AFD glaubt, mit dem Parlament solche Spielchen spielen zu müssen, dann müssen deren Abgeordnete über die Strafen eben dafür bezahlen. Dazu sind dann interessanterweise auch nicht alle bereit: Stören ist OK, aber nicht, wenn es das eigene Geld kostet. Während der Abstimmung gab es lautstarken Lärm an den Urnen, weil einige AFD-Abgeordnete ihre Kollegen daran hindern wollten, an der Abstimmung teilzunehmen. Am Ende haben 13 AFD-Abgeordnete teilgenommen, aber 65 haben sich verweigert, und so zahlt entsprechend jeder der 65 seine Strafe für diese Nicht-Teilnahme.

Das ganz entscheidende sind aber weniger die Umstände, die ich geschildert habe, viel wichtiger ist es zu verstehen, wie die AFD zu unserer Demokratie steht, denn das wissen leider die wenigsten. Es geht der AFD nicht um politische Inhalte, schon gar nicht darum, irgendetwas zur Verbesserung in Deutschland zu erreichen. Diese Partei ist schlicht destruktiv, und stört und blockiert unsere Parlamente. Ich wundere mich, warum die Medien über solche Angriffe auf unsere Demokratie nicht berichten. Wenigstens die Leser des Niedernhausener Anzeigers wissen Bescheid.